Wie viel Zeit hat der Weihnachtsmann pro Kind an Heiligabend?
Diese Frage klingt erst einmal lustig und nicht unbedingt so, als sei sie vom Recruiter wirklich ernst gemeint. Wird sie auch noch am Ende des Vors...
- 17. Dezember 2020
- 5 Min. Lesezeit
- Max
Diese Frage klingt erst einmal lustig und nicht unbedingt so, als sei sie vom Recruiter wirklich ernst gemeint. Wird sie auch noch am Ende des Vorstellungsgesprächs gestellt, denkt mit Sicherheit der ein oder andere Bewerber, hier gehe es nur noch um ein lustiges Geplänkel, ehe das Gespräch beendet wird. Weit gefehlt! Ein Brainteaser wird oft mit Absicht am Ende eines Job-Interviews platziert, um den Kandidaten aus seiner Komforthaltung herauszuholen und zu analysieren, wie er unvorbereitet auf eine Stresssituation reagiert.{:.intro-text}
Einordnung der Frage: Worum geht es?
Diese Denksportaufgabe gehört zu den sogenannten Fermi-Fragen. Darunter versteht man eine quantitative Abschätzung für ein Problem, zu dem so gut wie keine Daten vorliegen. Der Physiker Enrico Fermi pflegte seine Studenten mit derlei Aufgaben zu konfrontieren, um ihnen beizubringen, auf schnellem Weg eine Lösung durch eine begründete Schätzung zu finden. Diese Schätzungen beruhen auf realistischen Annahmen, die in Rechenschritte umgesetzt werden müssen.
Für welche Berufe sind diese Fragen relevant?
Diese Fragen sind für Berufe interessant, in denen es darum geht, trotz eines Mangels an Informationen spontan gute Abschätzungen vorzunehmen. Tätigkeitsbereiche: u.a. Mathematiker, Berater, Analysten, Wirtschaftswissenschaftler, Investmentbanker, Banker, technische Berufe Industrien: u.a. Wirtschaftsprüfung, Unternehmensberatung, Banken und Finanzinstitute, Maschinen- und Anlagenbau.
Rückfragen stellen: Dos und Don’ts
Damit du von Beginn an richtig mit der Situation umgehst und dein Vorgehen planen kannst, solltest du zunächst die Regeln für den Ablauf und den Umgang mit der Brainteaser-Frage abklären. Damit zeigst du dem Recruiter dein Interesse an einer Lösung und erfährst zusätzlich, in welchem Rahmen du dich bei der Antwortfindung bewegen kannst. Dabei solltest du einige allgemeine Dos und Don’ts beachten:
Allgemeine Dos:
- Stell deine Rückfragen so konkret wie möglich.
- Schau deinem Gegenüber immer in die Augen. Blickkontakt ist für die Empathie wichtig, die gegebenenfalls dazu führt, dass du den ein oder anderen Hinweis erhältst, den andere nicht bekommen.
- Schätze Grössenordnungen selbst ein, bevor du beim Recruiter nachfragst, ob du damit richtig liegst.
- Rechne immer alleine und ohne Unterstützung des Recruiters.
Dos Beispielformulierungen:
- «Darf ich Stift und Zettel benutzen, um mir Notizen zu machen und meine Überlegungen aufzuschreiben?»
- «Darf ich Ihnen Rückfragen stellen? Und wenn ja, wie viele Rückfragen sind gestattet?»
- «Ich weiss, dass die Anzahl der Weltbevölkerung bei ca. 7 Milliarden Menschen liegt. Ich denke, dass alle Menschen, die das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, als Kinder bezeichnet werden. Ist diese Annahme richtig?»
Allgemeine Don’ts:
- Frag nicht nach Fakten, die du kennen solltest, wie zum Beispiel die Anzahl der Wochen eines Jahres, wie viele Tage ein Jahr oder wie viele Meter ein Kilometer hat.
- Stell nicht zu spitzfindige Fragen.
- Stell nicht zu viele Fragen: Nicht der Recruiter soll dir Antworten geben, sondern du ihm.
- Verlier dich bei deinen Fragen nicht in Details.
- «Ich kann doch unmöglich eine Berechnung anstellen, zu der mir jegliches Zahlenmaterial fehlt – oder liefern Sie mir das noch? Wenn nicht, kapituliere ich direkt vor so einer Frage.»
Analytisches Vorgehen bei Fermi-Fragen: in 12 Schritten zum Erfolg
- Du kannst nicht von Beginn an wissen, wie du vorgehen musst. Sammle also zunächst alle Daten, die du für eine Berechnung brauchen kannst. Fang erst dann an zu rechnen.
- Geh analytisch vor, und zwar vom Grossen zum Kleinen.
- Visualisiere die Situation, bevor du mit deinen Berechnungen loslegst.
- Arbeite mit Stift und Zettel (wenn es erlaubt ist); dies wird dir helfen, den Überblick zu behalten und die Lösung zu finden.
- Überleg dir, welche Zahlen du für die Lösung benötigst. Unterscheide hierbei zwischen Fakten, die du kennst, und Annahmen, die du schätzen musst.
- Verbalisiere deine Überlegungen. Nur so kann der Recruiter deinen Überlegungen folgen und diese bewerten.
- Fass die Situation zusammen, bevor du dein Ergebnis präsentierst.
- Begründe dein Ergebnis und stell deinen Lösungsweg dar. Dies ist der Hauptbestandteil der Aufgabe: Der Recruiter wird in erster Linie diesen bewerten, nicht die Lösung als solche!
- Rechne mit runden Zahlen, das vereinfacht deine Rechnungen.
- Rechne selbstbewusst auf Basis deiner getroffenen Annahmen ein Ergebnis aus und präsentiere es.
- Hast du falsche Überlegungen angestellt, so rechne nicht weiter. Revidiere die hierauf basierenden Ergebnisse und geh anschliessend von neuen Annahmen aus.
- Führe Gedanken immer zu Ende, bevor du mit einem neuen startest – nur so bleiben deine Überlegungen nachvollziehbar.
Möglicher Lösungsweg mit den von uns getroffenen Annahmen
Vom Grossen zum Kleinen
Überlege zuerst, welche Zahlen du benötigst, um eine Antwort auf die Frage zu finden. Zunächst einmal ist da die Anzahl der Kinder auf der Erde. Du kennst sicher die offiziellen Zahlen für die Weltbevölkerung: Rund 7 Milliarden Menschen leben auf der Erde. Nun musst du schätzen, wie viele davon Kinder sind. Definiere hier zunächst, bis zu welchem Alter man von Kindern spricht: Das tut man bei allen Menschen unter 15 Jahren. Gehst du davon aus, dass dies auf etwas weniger als ein Drittel der Weltbevölkerung zutrifft, kannst du annehmen, dass ca. 2 Milliarden Kinder auf der Welt leben.
Bevor du nun den Fokus auf den Weihnachtsmann legst, überlege noch kurz, ob an Heiligabend wirklich alle Kinder der Welt von ihm beschenkt werden. Natürlich nicht: Herauszurechnen sind alle muslimischen, hinduistischen, jüdischen und buddhistischen Kinder.
Hier musst du wieder gut schätzen. Wie viele Christen gibt es weltweit? Unter den religiösen Gruppen stellen sie die Mehrheit und zählen als Religionsgemeinschaft 2,2 Milliarden Menschen. Du kannst nun annehmen, dass es ca. 400 Millionen christliche Kinder gibt.
Aber nicht jedes Kind lebt in einem eigenen Haushalt: Gehst du von zwei Kindern pro Haushalt aus, macht das 200 Millionen Haushalte mit Kindern.
Nun kannst du überlegen, wie viel Zeit der Weihnachtsmann für diese 200 Millionen Haushalte hat. Am 24. Dezember hat der Weihnachtsmann 24 Stunden Zeit, richtig? Er ist sogar etwas mehr, denn wegen der verschiedenen Zeitzonen beläuft sich die maximale Zeit auf 31 Stunden, wenn er von Osten nach Westen reist. Warum ist dies wichtig? Die Erde dreht sich in östliche Richtung. Wenn wir nun nach Westen reisen, stellen wir die Uhr nach jeder Zeitzone eine Stunde zurück, was sozusagen einen Zeitgewinn darstellt. Dies wird natürlich auch der Weihnachtsmann tun.
Eine Stunde hat 60 Minuten. 31 x 60 Minuten sind gleich 1.860 Minuten sind gleich 111.600 Sekunden, die dem Weihnachtsmann insgesamt zur Verfügung stehen.
Verteilt auf die 200 Millionen Haushalte heisst das: Der Weihnachtsmann hat pro Kind 0,000558 Sekunden Zeit.
LÖSUNG:
Der Weihnachtsmann hat pro Kind an Heiligabend 0,000558 Sekunden Zeit. (Je nach Annahmen sind selbstverständlich auch andere Lösungen möglich!)